EUR/CHF: Das Ziel ist bekannt, aber der Weg ist lang
Christopher Dembik
Head of Macroeconomic Research
- Der allgemeine Marktkonsens spricht für eine weitere Abschwächung des EUR/CHF. Dies ist auch unser Fall mit einem langfristigen Ziel bei 0.9410.
- Der jüngste Bruch der Unterstützungszone bei 0.9700 ist ein wichtiges Signal, dass der Verkaufsdruck anhalten wird.
- Eine Minderheit der Marktteilnehmer erwartet, dass sich der Euro in der zweiten Jahreshälfte erholen wird (z.B. die Commerzbank, die ihr Kursziel für EUR/CHF auf 1.05 nach oben anpasste). Unserer Meinung nach spricht nichts für dieses Szenario, unabhängig davon, ob man sich auf die Fundamentaldaten oder auf markttechnische Elemente (wie Schlüsselniveaus, Flussentwicklung usw.) stützt.
Die Zinsdifferenz und das geopolitische Risiko sind normalerweise die beiden wichtigsten Indikatoren für den Schweizer Franken. Das Jahr 2023 bildet hier keine Ausnahme. Im Moment ist das geopolitische Risiko gering. Wir bezweifeln, dass sich die Lage in der Ukraine ausreichend verschlechtern wird, um eine Rückkehr der Volatilität bei den Wechselkursen zu bewirken. Das Risiko eines Zahlungsausfalls der USA könnte für Volatilität sorgen. Als die USA 2011 mit einer ähnlichen Situation konfrontiert waren, war der Schweizer Franken vor dem japanischen Yen mit einem Anstieg von 7% der Hauptgewinner. Die Marktteilnehmer hatten nach Absicherungsinstrumenten gesucht und natürlich war der Schweizer Franken der Spitzenreiter. Allerdings wiederholt sich die Geschichte nicht immer. Die Verhandlungen über die Anhebung der Obergrenze werden zweifellos sehr schwierig sein. Andererseits ist dies derzeit kein Element für zusätzliche Volatilität auf dem Markt. Je näher wir uns der für eine Einigung gesetzten Frist vom 1. Juni nähern (manche beginnen, vom 15. Juni zu sprechen!), desto mehr erratische Bewegungen könnten wir bei den Währungen erleben. Im Moment ist es jedoch auf dieser Ebene ruhig. In Wirklichkeit ist es das Zinsgefälle, das derzeit am wichtigsten ist. Es gibt eine klare Korrelation zwischen dem Zinsgefälle zwischen Deutschland (als Referenz für die Eurozone) und der Schweiz - siehe Grafik unten. Je grösser das Zinsgefälle wird, was auch die unterschiedlichen geldpolitischen Positionen und die Risikowahrnehmung der Marktteilnehmer widerspiegelt, desto mehr tendiert der EUR/CHF zu einer Abwertung. Diese Bewegung wird kurzfristig kaum zum Stillstand kommen, vor allem weil die Schweizerische Nationalbank ihre Geldpolitik voraussichtlich länger straffen wird als die Europäische Zentralbank.
Auch die technische Analyse deutet auf eine Abwertung des EUR/CHF hin. Seit Jahresbeginn hat das Paar 2.11% verloren. Das Währungspaar bewegt sich unter einer Abwärtstrendlinie. Ausserdem befindet es sich derzeit unter seinem 50-Tage (grüne Linie in der unten stehenden Grafik) und 200-Tage (violette Linie) gleitenden Durchschnitt, die beide um den Bereich von 0.9840 liegen. Solange das Paar diese Schwelle nicht überschreitet, ist ein Rückschlag unwahrscheinlich. Am Montag, dem 22. Mai, durchbrach das Paar vorübergehend die Unterstützungszone bei 0.9700 (alle guten Dinge sind drei). Dies öffnet die Tür für einen Kursrückgang mit dem Risiko, dass das langfristige Tief bei 0.9410 wieder erreicht wird.
Der Fall des EUR/CHF wird jedoch nicht linear verlaufen. Die derzeitige Positionierung von Händlern und institutionellen Anlegern könnte die Geschwindigkeit der Abwertung verlangsamen. Laut dem jüngsten Commitment of Traders Report der Commodity Futures Trading Commission (Marktregulierungsbehörde in den USA) sind die Händler gegenüber dem CHF neutral eingestellt. In der Woche bis zum 16. Mai (letzte verfügbare Daten) waren die Händler etwas mehr auf Verkauf als auf Kauf positioniert, aber nur marginal - siehe unten stehende Grafik. Dies ist derzeit kein Unterscheidungsmerkmal.
Kurz gesagt, das Umfeld ist immer noch günstig für einen Rückgang des EUR/CHF mit einem Tiefpunkt um 0.9410. Wir bezweifeln, dass es eine ausreichend günstige Dynamik gibt, um in den kommenden Monaten noch tiefer zu gehen (wobei zu beachten ist, dass die wichtigste Unterstützungszone danach bei etwa 0.9360 liegt). Das Zinsgefälle dürfte der Haupttreiber für eine Abwertung des Paares sein. Das geopolitische Risiko dürfte kurzfristig kein besonderer Marker sein (kaum Risiken, die vom Markt nicht eingepreist werden). Der einzige Unsicherheitspunkt auf makroökonomischer Ebene ist die Inflation. Unserer Ansicht nach haben viele, wenn nicht sogar alle Zentralbanken falsch eingeschätzt, wie sehr die Inflation grösstenteils strukturell bedingt ist. Diejenigen, die eine geldpolitische Pause eingelegt haben oder demnächst einlegen werden, könnten später böse Überraschungen erleben. Davon zeugt, was in Kanada geschieht. Die Bank of Canada war eine der ersten grossen Zentralbanken, die eine Pause einlegte, weil sie dachte, die Inflation sei eingedämmt. Schliesslich ist sie in den letzten drei Monaten wieder gestiegen. Die Schweizerische Nationalbank, die sich so sehr um den Inflationsdruck sorgt, wird dies sicherlich beobachten.